Waschbär mit Brille

Ich brauche dringend neue Klamotten. Da ich eine natürliche Scheu vor vollen Innenstädten und „Einkaufmoolz“ a la Centro habe: Nur online.

Bein Durchklicken der verschiedenen Kataloge überkommt mich eine leichte Übelkeit (es kann nicht an den  Medis liegen, ich habe doch einen Magenschutz).

Nein, es liegt an der unsäglichen „pfiffigen und frischen“ Frühjahrsmode.

Ich mustere ein weißes T-Shirt. Vorne ist Papagei mit einer Perlenkette drauf gedruckt. Dieses Shirt  wird noch von dem nächsten übertroffen. Dort grinst  mich ein Waschbär mit Brille an.  Gucke, ob ich nicht bei Kindermode gelandet bin. Nein, bin ich nicht.  Auf der nächsten Seite lächelt mich der „head of design“ an. Er ist  für die Konzeption des Kataloges zuständig. Wohl weder head noch Design. 

Ich klicke mich durch wilde LSD Muster, die mich an die Kaleidoskope erinnern, die ich als Kind hatte.  Weiter geht es mit dem großflorigen Lianen Dschungel Stil. Wenn ich das tragen würde, nehme jeder Elefant vor mir laut trompetend Reißaus.

Ich begucke misstrauisch eine Bluse, auf der sich vorne eine riesige Mohnblume befindet. Sieht angezogen wahrscheinlich aus, als hätte mich jemand in die Brust geschossen. Der Höhepunkt ist ein grünes Shirt mit einem alten braunen Schuh drauf, durch den echter Schnürsenkel gezogen ist.

Ich bekomme eine Gänsehaut.  Mustere mein rot-weiß gestreiftes T-Shirt und die blaue Jeans, die ich trage. Noch gut genug. Brauche nichts Neues.

Barbara Schulte

„Der Personalstreit im Klinikum Essen an der Hufelandstraße dauert an. Das Landgericht Essen erklärte jetzt die Kündigung der früheren kaufmännischen Direktorin Barbara Schulte im Mai 2013  für unwirksam. 160 000 Euro soll das Klinikum zahlen, was einem halben Jahresgehalt entspricht.“

Nur mal kurz zum Nachrechnen: Frau Schulte hatte ein Jahresgehalt von 320.000 Euro. In Worten: Dreihundertzwanzigtausend.

Mit welcher Begründung? Hat sie Menschenleben gerettet? Hat sie schwierige OP´s geleistet? Herzen oder Nieren transplantiert? Gehirne operiert? Menschen den Hintern abgewischt?  Kotze beseitigt? Menschen gepflegt? Menschen beim Sterben begleitet? Menschen reanimiert? Zwei Tage nicht geschlafen? 12 Tage am Stück gearbeitet? Ein Chefarzt der Thoraxchirurgie bekommt nicht ein Drittel von Frau Schultes Gehalt, geschweige denn das Pflegepersonal und die Assistenzärzte.

Die schamlosen Tintenpisser sind die Leader. Und ich weiß nicht wieso.

Verarscht

Von der EU und unseren Politikern wurde großspurig verkündet, dass die Privatisierung von Wasser vom Tisch sei. Fast zwei Millionen EU-Bürger haben in einer von den europäischen Gewerkschaften organisierten Bürgerinitiative mit ihren Unterschriften dafür gesorgt, dass diese EU-Pläne vorerst gestoppt wurden.

Dies ist gelogen. In der neuen Gesetzgebung der EU ist zwar enthalten, dass die Wasserversorgung nicht unter den Privatisierungszwang fällt. Enthalten ist jedoch ein zeitlicher Vorbehalt, dass diese Entscheidung in 5 Jahren überprüft wird!  Die Großkonzerne wie Nestle und Co. haben anscheinend gute Lobbyarbeit geleistet und wollen auf diesem Weg die Privatisierung in der Zukunft betreiben. Dann könnten Städte verpflichtet werden, Wasserwerke und Grundversorgungsunternehmen an Konzerne zu verkaufen. (Hamburg und Berlin sind Beispiele dafür, wobei Hamburg soeben das Stromnetz von Vattenfall zurückgekauft hat.)

Die Privatisierung von Wasser hat bisher nirgendwo zu einer besseren Wasserqualität geführt. Absehen vom Profit und ist der Preis und der Rendite der Unternehmen.
Dort wo schon privatisiert worden ist, sind z.B.die Versorgungsleitungen nicht gewartet werden. Dadurch steigen die Gesundheitsgefahren.

Ein guter Roman zu diesem Thema ist „Fremde Wasser“  von Schorlau.

Es geht nicht nur um Wasser, es geht um die gesamte Grundversorgung.

Geht mal wieder auf die Strasse, geht mal wieder demonstrieren!

Hier der link auf den Artikel von WDR5 und ein Interview mit Christa Hecht als Audiodatei,

http://www.wdr5.de/sendungen/neugiergenuegt/freiflaeche/wasserexpertin100.html

Via Ano, thx!

Echt jetzt

Ärzte als Patienten. Soll ja nichts Schlimmeres geben. Abgesehen von Lehrern.

Wenn ich könnte, würde ich mich selbst operieren. Echt jetzt. Am ersten Tag im Krankenhaus muss ich eine diagnostische Rundreise starten, EKG, Röntgen, NLG/EMG, CT. Als ich vor dem EKG warte, höre ich auf dem Flur eine bekannte Frauenstimme. Kann sie nicht sofort zuordnen. Als ich um die Ecke biege, stoße ich auf die dunkelhaarige penetrante Pharmareferentin, die mich immer auf der Arbeit nervt. Zu spät. Sie hat mich entdeckt. „Was machen Sie denn hier??“  Es gelingt mir sie abzuschütteln. Vor dem Röntgen stöbere ich in meinen Laborwerten. Alles gut. Obwohl, wieso habe ich so hohe Leukos? CRP ist aber okay. Doch eine Diszitis? Na ja. Cholesterin super. Wozu brauchen Unfallchirurgen eigentlich Cholesterin? Total uninteressant. Echt jetzt. Mein EKG gucke ich durch: Sinustachykardie, kein Wunder. Der junge Assistenzarzt versucht schwitzend mir eine Viggo zu legen. Er desinfiziert extra lange. Ich habe nur zwei gute Venen.  Aber er schafft es.  Er hängt eine Infusion an, ich frage was das ist. Er wird rot und sagt leise: Perfalgan.  Ich grinse, überlege, ob ich was sagen soll, lasse es dann aber. Perfalgan hilft bei starken Schmerzen so gut wie Mineralwasser. Echt jetzt.

Ich werde irgendwie vorsichtig behandelt. Seltsames Gefühl. Nur die Visite ist für alle gleich früh. Morgens um 6.30 Uhr. Nix mit ausschlafen. Alle Ärzte, die um mein Bett stehen, sind übermüdet und sind bei der letzten Visite um 19.30 Uhr immer noch müde. Arme Kollegen. Sie tun mir leid. Echt jetzt.  Beim Einschleusen in den OP grinst der tätowierte Pfleger: „Guten Morgen Doc, jetzt hüpf mal hier rüber.“  Endlich mal Normalität. Wir reden kurz über Schalke. Im OP bekomme ich Dormicum. Schönes LeckmichamArschGefühl. Der Chirurg erzählt mir, dass er aus „Versehen“ einer jungen hübschen Patientin seinen Namen bei facebook verraten hat. Er bekommt sie jetzt nicht mehr los. Selbst Schuld Herr Kollege, echt jetzt.

Zurück auf der Station vermeide ich alles was dem Pflegepersonal Arbeit machen könnte. Ich darf nur in Begleitung aufstehen, mache ich natürlich nicht. Lege mich dabei fast auf den Hintern weil mein Bein noch keine Kraft hat. Mache mein Bett alleine.  Trage mein Tablett raus. Bloß nicht nerven. Echt jetzt.

Habe Angst vor MRSA. Desinfiziere mir im Minutentakt die Hände. Gebe keinem die Hand. Benutze nur meine eigenen Handtücher. Mustere mißtrauisch meine Viggoeinstichstellen. Bei der Entlassung lese ich sofort meinen Brief, netterweise haben die ihn erst gar nicht zugeklebt.

Der Hausarzt sieht mich fragend an, was er jetzt machen soll. Steht alles in dem Brief, lies doch! Manchmal möchte ich einfach nur Patient sein und von nix Ahnung haben. Echt jetzt.

Langeweile

Langeweile, erzwungenes krankheitsbedingtes Nichtstun, lerne ich gerade kennen. Es gibt verschiedene Phasen:

Phase 1: Schlafen, Wecker morgens wieder ausgestellt, den ich mir tapfer am Vorabend gestellt habe (von wegen Tagesstruktur und so). Ich habe ein schlechtes Gewissen, alle Autos vor meiner Tür sind weg. Alle arbeiten.

Phase 2: Fernsehen gucken bis zum abwinken: Unsägliche Makler, Köche mit achsocoolen Bärten und Caps, Ordnungshüter, die Bürger wegen weggeworfenen Chipstüten verhaften,  Bauern, sinnbefreite Familien im Brennpunkt. Ich kenne sie jetzt alle. Und will sie nicht weiter kennen lernen.

Phase 3: Schwenke auf besagte DVDs um, Habe jetzt auch alles gesehen. Krimis ausgelesen. Obwohl, da liegt noch ein Baldacci.

Phase 4: You Tube Videos: Ich weiß jetzt, wer Kennedy getötet hat, habe Aliens in Nevada gesehen, bin über den Bildungsnotstand in Deutschland informiert und kenne alle Serienkiller und sämtliche Make up Tipps.

Phase 5 a: Maile und smse  meine Freunde im Abstand von fünf Minuten an.

Phase 5 b: Maile und smse meine Freunde im Abstand von drei Minuten an und schicke ihnen niedliche Hundebilder.

Phase 6: Zähle die Vögel in meinem Garten:  6 Meisen, 4 Drosseln, 2 Amseln, 1 Rotkehlchen. Maile die Daten an den Nabu weiter.

Phase 7: Schreibe 10 Kommentare innerhalb von 6 Minuten zu bescheuerten Artikel in Der Westen. 5 davon werden sofort vom Moderator gelöscht.

Phase 8: Es klingelt, der Mann von den Stadtwerken ist da. Versuche ihm ein Gespräch aufzuzwängen.

Phase 9:  Ich hasse mein Sofa.

Phase 10: Ich taue meinen Kühlschrank ab. Rechne meinen Grundumsatz aus.

Phase 11: Ich google das Wort „Langeweile“.

Endstadium:  Überlege, ob ich mich nicht doch bei Facebook anmelden soll.

Tanz mit mir

Neulich am Frühstückstisch. Die Sonne scheint endlich, der Himmel ist wolkenlos blau. Friedlich.

Ich gucke auf D., der in Ruhe seinen Kaffee trinkt.

„Mein lieber D., wir waren noch nie tanzen, seitdem wir uns kennen.“

D. schreckt auf, verschluckt sich an seinem heißen Kaffee. Hustet. Fängt sich mühsam wieder:

„Das hat auch seinen guten Grund.“ Es folgt eine längere Erklärung. Ein Corporal hätte ihm einst das Rhythmusgefühl einer schwangeren Katholikin bescheinigt. Er könne nur  den britischen Marschschritt, Foxtrott hätten sie ihm nicht beigebracht. Für Soldaten sei Tanzen so nutzlos wie ein Aschenbecher auf einem Motorrad (immer diese bildlichen Vergleiche..). Im übrigen sei er männlich, Tanzen daher ausgeschlossen. Thema Ende.

Falsch, mein lieber D., guck mal hier:

Strand

Mir ist langweilig. Sämtliche DVDs geguckt.  Virtuellen Frühjahrputz erledigt. Alte mails, seltsame Fotos, Cartoons,  SMS und schlafende Kontakte gnadenlos gelöscht.Vor dem realem Abheften drücke ich mich. Noch. Erst mit einem, dann auch mit dem zweiten Ohr und schließlich dem Gehirn höre ich Yasha im Radio.

„Lass uns zum Strand,  du weißt schon welchen ich meine. Ich brauch mal wieder Meer und Sand und einen Grund zum Bleiben. Deine Uhr fällt ins Blau.
Wir setzen langsam auf. Das Wasser spiegelt glatt und blinkt.“

Habe sofort Bilder im Kopf. Den langen kanarischen Strand, den rauhen Nordostseestrand, den gelben Mittelmeerstrand? Die türkise Ägäis, die graue Nordsee, der stahlblaue Atlantik?

Vorsatz für 2014 : Beim nächsten blauen Himmel auf der A3 nicht in Wesel/Schermbeck rausfahren.  D. vom Bahnhof aufpicken. Bis nach Egmond aan Zee durchfahren.  Die salzige Luft schon im Auto riechen. An den schwertmuschelübersäten  Strand in den Sand setzen. Einen großen Koffie verkeerd trinken, dazu überteuerte holländische Fritten essen. Mit Zwiebeln. Vielleicht noch ein schlabbriges Heineken dazu.

Meine Langeweile ist weg.