Memo an mich

Heute kam Herr M.  Chronischer Schwindel, chronische Obstipation, sei nicht so gut zurecht.

Ich frage ihn, ob er an Gewicht abgenommen hat.

Herr M (geschätzter BMI 45) strahlt mich an: „Nö, letzte Woche habe ich mich auf der Waage in der Hawaii Therme splitterfasernackt gewogen. Immer noch 95 Kilo!“

Memo an mich: Nicht mehr in die Hawaiitherme gehen. Jedenfalls nicht auf die Waage.

Auf zur nächsten Neuaufnahme in Zimmer 5 zu Herrn S.  Ich frage ihn, ob er sich schon angemeldet hat.

Herr S. schüttelt den Kopf: „Nein, meine Sexpartnerin macht das gerade.“ Selbige kommt gerade rein und drückt mir die Aufkleber in die Hand.

Memo an mich: Nicht mehr nach Aufklebern fragen.

In Zimmer 10 klagt Frau Z. über Obstipation.  „Es ist so hart… wenn ich es an die Wand werfen würde, wäre da ein Loch!“

Memo an mich: Bilder im Kopf ausschalten. Jetzt. Sofort.

 

 

 

 

Können Sie das?

Mein Assistenzwelpe beschwert sich.  Viele Patienten fragen ihn, wenn er Blut abnimmt, Viggos legt etc.: “ Ja, können Sie das denn auch????“ Nebenbei, irgendwie kann ich sie verstehen, der Welpe sieht aus wie 14 Jahre. Dazu kommt dann ein misstrauisches Starren, wenn er ein Pflaster abzieht.

Reaktionen, die ihm auf der Zunge liegen, aber den Mund nicht verlassen:

„Nein, aber ich tu’s trotzdem…“

„Ja, ich habe einmal zugeguckt.“

 „Wenn Sie nachher noch zwei Füße haben, habe ich alles richtig gemacht…“

„Das kommt drauf an. Sind Sie denn privat versichert?“

„Die Freundin Ihres Mannes hat 30.000 geboten, wenn ich’s nicht kann. Was bieten Sie?“

*irres Lachen und Skalpellschwingen, während aus dem Nachbarzimmer erst Geschrei und dann ein ersterbendes Röcheln zu hören ist*

Und mein lieber Welpe….Sei froh, dass du ein Mann bist. Jeder Pflegehelfer, der kaum geradeaus laufen kann,  wird von den Patienten als „Herr Doktor“ tituliert. Ich bin seit zwanzig Jahren immer noch „die Schwester“.  🙂

Rotkohl

Heute auf Visite. Zimmer 12. Das letzte Zimmer nach einer schweißtreibenden gefühlten 27 stündigen Visite mit Chef. Mein Assistenzarzt verheddert sich bei den 15 Hauptdiagnosen. War das eine Pneumocystis Pneumonie 1987? Wie lange liegt das Urostoma?

Wir kommen ins Zimmer. Gibt schon Mittagessen. Rotkohl mit IrgendwasFrikadelle. Ich mag Rotkohl.

Herr M. mit nacktem Oberkörper bei einem BMI von 42, kurzer Schlüpper. Sitzt an der Bettkante. Kopfhörer auf, guckt Fernsehen. Sieht uns an. Isst seelenruhig weiter. Lässt die Kopfhörer auf.

Chef: „Wie geht es Ihnen?“

Schlüpper (gabelt die Frikadelle auf): „Wieso krieg ich so schlecht Luft?“

Weil du 42 Zigaretten pro Tag rauchst.

Chef erklärt geduldig, der Schlüpper schaufelt ungerührt weiter. Kleckert Rotkohl auf seine grau behaarte Brust.  Schabt den Kohl mit der Serviette ab.

Ich schlucke trocken, ich mochte mal Rotkohl.

Nach der Visite schnell in die Cafeteria. Die Schlange geht bis zur Tür. Endlich bin ich dran. Es ist nur noch Rotkohl da. Mit Zwiebelsauce. Ich mochte mal Rotkohl.

 

 

Aufklärung

Patienten über Magenspiegelung, Darmspiegelung, Operationen usw. aufzuklären, kann  harte Arbeit sein und viel Geduld und Nerven verlangen.

Gehörlos Gerd:

Gerd hat auf dem rechten Ohr noch 0,2 % Hörvermögen und auf dem linken Ohr nix.  Er hat seine Hörgeräte im Wert eines Mittelklassewagens in der Schublade liegen, seine Batterien vergessen oder weigert sich zuzugeben, dass sich sein Hörvermögen auf dem Niveau eines Wassermolches befindet.
Dass ein Gehörlos Gerd in Zimmer 7 liegt, erkennt man bereits am Gebrüll der Krankenschwester,  die die Worte „ZETTEL“ und „AUSFÜLLEN“ abwechselnd laut artikuliert, gestikuliert und tanzt, um Gerd klar zu machen, was man hier von ihm will.

Eltern:

Gut, als Geriater hat man damit nicht so oft Kontakt. Aber die klagenden Anästhesisten, die mit mir Mittag essen gehen, um so mehr. Hier hat man es mit einem schwierigem Klientel zu tun. Sie tauchen in der Ambulanz im Doppelpack und ohne Kind auf, um „zunächst ein Vorgespräch“ zu führen. Stundenlang berichten sie von ihrem sensiblen Thorben-Tristan mit Ärztephobie, bringen tonnenweise ergoogelte Dokumente, alte Impfpässe  und haarsträubendes Halbwissen mit und wollen um jeden Preis mit in den OP.
Lösung: Unmissverständlich klar machen, dass die OP leider nicht auf dem Schoß der Mutter stattfinden kann, und dass die betreuenden Ärzte im Vorfeld auch keinesfalls Kopie ihrer Approbationsurkunden vorzeigen werden.

Substanzmissbrauch-Stefan:

Junger Mann mit bläßlicher Gesichtsfarbe, abgekauten Fingernägeln und langen Ärmeln, der sich beim Beantworten der Drogen-Frage im Bogen fünf Mal neu entschieden hat,  sodass im Textfeld nur durchgestrichene Worte stehen.
Lieber Stefan: Wir verpetzen dich nicht an die Polizei. Wir wollen nur wissen, ob du schon von Haus aus eine Abhärtung gegen unsere guten Narkose-Drogen mitbringst. Alles klar? Hier unterschreiben.

Detail-Detlef:

Dieser Patient trennt sich sehr ungern wieder vom  Aufklärungsbogen. Er füllt diesen in akkurater  Handschrift  akribisch aus und will jeden Punkt dreifach besprechen. Und er braucht mindestens zwei Kopien davon. Dieses unglaubliche Monster-Aufklärungsgespräch verzögert sich immer wieder, weil Detlef nicht einsehen will, dass es völlig wuppe ist, ob seine Galle nun 1996 oder 1997 rauskam, und er deswegen nicht extra seine Frau anrufen muss. Und Erbeerallergien sind für uns auch nicht wirklich relevant. Hier hilft nur hartes Unterbrechen und weiter im Text. Sonst sitzt man mit Detlef übermorgen noch da.

Demenz-Doris:

95 Jahre alt, freundlich zahnlos lächelnd, soll sie für eine Gallenblasen OP unterschreiben. Sie hat eine erstaunlich gute Fassade, die erst auffliegt, als sie es nochmal mit ihren Eltern besprechen will.

Ratzfatz-Renate:

Renate gehört zum Krankenhausinventar. Entweder hat sie keine Lust auf ein Aufklärungsgespräch, oder sie hat es schon tausend Mal gehört, weil sie zum xxxx Re-Eingriff hier ist. Sie unterschreibt für die Nierentransplantation in drei Sekunden und  will direkt wieder nach draußen zum Rauchen. Schnelle Prämedikation, glücklicher Anästhesist.

Die Leut´

Gut eingerichtete Krankenzimmer sind für Patienten wichtig.

Es klopft bei meiner Sekretärin. In der Tür steht eine Frau, an jedem Finger einen Ring, auch am Daumen, Sonnenbrille im blondierten Haar (draußen ist es 8 Grad und Dauerregen)

Brille: „Meine Name ist Frau Vonundzu . Mein Mann soll morgen hier aufgenommen werden. Ich war gerade auf einer Station und habe mir die Zimmer angeguckt. Die sind viel zu klein!!! Da soll er für 14 Tage jetzt rein??“  Die Ungläubigkeit spiegelt sich in ihrer Brille.

Ich kläre sie auf, ohne dass es was nützt. Der Ehemann wird in keinem Hasenkäfig untergebracht, die Zimmer sind frisch renoviert, bodentiefe Fenster, Mosaikfliesen im Bad, große Flachbildfernseher, schöne Farben.

In meinem Kopf spiegelt sich gerade was anderes. Ich überlege, ob die Bling bling Frau einfach so in die Patientenzimmer reinmarschiert ist.

Ja, das hat sie getan.

Sie ist 30 Kilometer gefahren, hat sich in einen Stau auf die A40 gestellt, hat einen Parkplatz gesucht, sich bis in die 9. Etage gekämpft und ist dann einfach in ein Zimmer gegangen. Welches zu klein ist. Und für Ihren Mann nicht in Frage kommt. Ich frage mich ja immer in solchen Situationen:

Haben die Leut´nichts zu tun?

Noch Fragen?

Kommt die Frau von Herrn P. hektisch zu mir. Sie will unbedingt und jetzt und sofort mit mir sprechen. Ich wundere mich.  Herr P. soll in zwei Tagen entlassen werden. Erwachsener, orientierter, nicht dementer Patient. Komplikationsloser Verlauf nach einer Hüft TEP.

Ich gehe aufs Zimmer.
Ich: „Sie hatten eine dringende Frage?“

Frau P.: „Ja, wie geht es denn meinem Mann eigentlich?“

Ich: „Herr P. , wie geht es Ihnen denn eigentlich?“

Herr P.:  „Klasse, alles gut.“

Frau P.:  „Und wann kann er nach Hause?“

Ich:  „Herr P. , wann können Sie nach Hause?“

Herr P.:  „Am Freitag!“

Noch Fragen?

Redezeit

Ja, Arzt ist ein kommunikativer Beruf, Reden und Zuhören ist wichtig. Aber wichtiger ist es, Patienten zu behandeln.

Ehemann einer Privatpatientin:

Ruft mich um 8 Uhr an: „Wie geht es meiner Frau?“ (nebenbei, die Frau ist fit und hat ein Telefon neben dem Bett). Endloser Ping Pong Dialog, Dauer 12 Minuten.

Ruft um 10 Uhr an: “ Wieso ist meine Frau noch nicht im OP?“ (Es soll ein Demerskatheter entfernt werden, nichts dramatisches). Dauer 6 Minuten.

Ruft um 12 Uhr: „Wieso ist sie noch im Aufwachraum?“ Dauer 5 Minuten

Ruft um 14 Uhr bei der Sekretärin an. Will jetzt endlich mal Auskunft haben und einen richtigen (Chef) Arzt sprechen (ich mache den Beruf ja erst seit 22 Jahren). Dauer 10 Minuten.

Ruft um 15 Uhr an. Will wissen, wieso es so lange gedauert, den Katheter zu entfernen. Dauer 5 Minuten.

Ich kann es Dir sagen, wieso es so lange gedauert hat.

Weil wir ewig am Telefon hängen.

 

Fehler

Gestern sah ich eine Sendung über Sibirien. Dort lief ein Holzarbeiter zwei Tage durch den Schnee zum nächsten Krankenhaus. Er hatte einen Holzsplitter im  Auge. Er wartete geduldig fünf Stunden in der Ambulanz, bis er an der Reihe war.

Heute rief eine Ehefrau auf unserer Station an. Der Mann kommt in zwei Tagen. Sie wollte wissen,  wieviel  Quadratmeter das Zimmer hat. Nicht, dass es zu klein ist.

Finde den Fehler 🙂

 

Helfen

Irgendwann will ich nicht mehr helfen müssen. Es ist dunkelt, regnet, es ist Montag.  Ich biege in den Parkplatz ein. Vor mir schleicht ein silberner Mercedes mit EN. Das kann ja heiter werden denke ich. Und richtig. Er hält vor der Schranke.  Und setzt in einem Schwung zurück. Ohne zu gucken. Herrlich!  Hinter mir ein LKW. Es ist eng. Stundenlanges Rangieren, bloß weil EN doch nicht mehr auf den Parkplatz will. Seine Ehefrau wedelt ungeduldig mit den Armen. Ich könnte  sie aus dem Auto holen und nach EN zurückschießen.   Endlich auf dem Parkplatz. Ich steige aus. Gegenüber steht ein grüner Polo. Daneben eine ältere Frau. Fummelt mühsam am Schloss. Ich tue so, als hätte ich sie nicht gesehen. Es nützt nichts. „Haaaaallooo“ trompetet es in meine Richtung. Können Sie mal eben? Was mal eben? Sprich ganze Sätze!  Die Tür abschließen, klemmt irgendwie.  Ja, auch das mache ich.

Vor dem Aufzug treffe ich das EN Paar. Die irren hilflos umher. Natürlich helfe ich Ihnen gerne und bringe sie auf den Weg. Kunden und so.

Natürlich habe zeige ich Verständnis für eine matronenhafte Tochter, die über dem Tresen hängt mit einer fünf Tage alten Einweisung. Und sich lauthals beschwert, dass wir nicht innerhalb von einer Stunde ein freies Bett auf unserer überfüllten Station herzaubern können.

 

Oben auf der Station 9 lieg ein schwer deliranter 95 jähriger Patient mit einer Hirnblutung. Er schreit seit drei Stunden Hallo oder Hilfe oder Gerti oder Hallo  Gerti. Schlägt und kneift das  Pflegepersonal. Schmiert alles (braun oder gelb ) an die Wände. Die Schwestern haben heute das Bett  fünfmal bezogen. Er ist nicht rehafähig. Die beiden Töchter sehen das anders. Wir würden ihm nicht helfen wollen, sie wollen sich beschweren. Bei der Krankenkasse, bei der Geschäftsführung, bei der Bild. Bei wem auch immer.

In der Stationsküche sitzt Schwester Ebru und heult vor Wut. Sie will gerade nicht mehr helfen.