Trotzdem

Der Stellenwechsel klopft an und reißt die Tür auf. Einladungen  zum Abschied sind verschickt. Ich habe mein Büro ausgeräumt. Die Zeit rennt schneller als Usain Bolt davon.

Die Wände sind jetzt erschreckend  kahl und wirken surreal fremd.  Zwei Nägel sind noch drin. Habe ich vor sechs Jahren selbst reingeschlagen, obwohl es ja verboten ist.  Scheiß auf QM. Hammer habe ich von zu Hause mitgebracht. Meine Schränke sind leer. Nur der Kalender mit den Hundebildern, den D. mir zu Weihnachten geschenkt hat  und  die rote Kaffeemaschine sind noch da. Meine Sachen  habe ich in zwei kleinen Kartons verstaut. Wieso habe ich eigentlich immer so viele Schuhe im Büro? Drei Paar Winterstiefel und zwei Paar Sneakers. Unglaublich. Ein paar alte Kittel werfe ich weg.  Wo kommen die vielen Badmintonbälle her? Meine struppige Palme habe ich mit nach Hause genommen. Obwohl die bestimmt MRSA verseucht ist. Pflanzen und MRSA? Geht das? Muß ich mal nachlesen.

Ich bin gut im Wegwerfen. Und auch in Abschieden trainiert. Aber dieser Abschied ist endlos.

Ich mache viele Dinge bewußt zum letzten Mal. Und es zerreisst mir ein bißchen das Herz. Und macht einen dicken Kloß im Hals. Und ein Bloßjetztnichtheulengefühl.

Zum letzten Mal nach dem Dienst bei Müllers mit dem miesen Service frühstücken, zum letzen Mal an den Auesee, zum letzten Mal auf den Markt, zum Rhein, Richtung Holland, zum letzten Mal in die Weinzeit, zum letzten Mal direkt nach Arbeit bei B. auf der Terrasse selbstgemachten eiskalten Erdbeer prosecco trinken.

Freunde, die seit zwanzig Jahren auf der gleichen Stelle hocken, muntern mich auf:  “ Sei doch froh, endlich mal was Neues!“

Oder auch: „Auf zu neuen Ufern. „

Trotzdem.

 

 

 

 

War ich auch

mal so? Wir haben seit einer Woche zwei Studenten in der Aufnahme. Ein Junge und ein Mädchen. Sie sehen sounglaublichglaublich  jung aus. Sie sind es auch. Die Kittel frisch gebügelt, keine Kugelschreiberflecken in den Taschen. Schickes Stethoskop. Faltenlose Hosen und Gesichter. Glänzende Haare. Neue Sneakers ohne eklige Flecken. Keine Ränder unter den Augen. Sie lächeln morgens. Sind noch etwas schüchtern. Das Mädchen jedenfalls. Der Junge nicht. Der hat schon einen Hauch von Arroganz um sich wabern.  Bestimmt Arztsohn. Das Mädchen steht in der Frühbesprechung, der Junge hat sich  schon einen Schreibtischstuhl an Land gezogen. Sie lieben Patienten.  Ihnen hat auch noch keiner über die Hose gekotzt. Und sie streiten sich wer Blutabnehmen und Viggos legen darf. Niedlich.

Ich habe ein Foto von mir. Da habe ich als PJlerin  im Krupp gearbeitet. Ich sitze mit einer Kollegin in der Pause auf der Bank. Die Sonne schien. Ich habe gelächelt, hatte glänzende Haare und keine Falten. Weder im Kittel noch im Gesicht. Ja, ich war auch mal so 🙂

 

Zwei Uhr vierzig

Heute in der Übergabe. Ein übermüdeter rotäugiger Assistenzarzt berichtet von den nächtlichen Aufnahmen.  Drei  DIN-A4 Seiten vollgeschrieben, 18 Aufnahmen.

Um zwei Uhr vierzig: 85 jährige marcumarisierte Patientin, lebt alleine zu Hause. Hat sich vor 10 Tagen am Unterschenkel gestossen. Seitdem ein Hämatom (sprich ein simpler blauer Fleck) dort. Hat Quarkwickel  gemacht. Das Hämatom ist noch nicht wegegangen. Hat sich gestern Abend Sorgen gemacht und mit einer Nachbarin gesprochen. Diese blöde fürsorgliche Kuh Dame hat empfohlen sofort zum Krankenhaus zu fahren. Aber der blaue Fleck mußte noch Sachen packen. Nachdem sie den Inhalt eines Kleiderschrankes in zwei Taschen verstaut und die Katze versorgt hatte, rief sie den  RTW.  Ankunft im Krankenhaus 2 Uhr vierzig. Nachts.

Eine eiserne Regel für diensthabende Ärzte lautet: Falls jemand mit gepackten Taschen kommt, aufnehmen! Wehr Dich nicht. Du kriegst sie nicht los. Und wenn es Dir mühsam gelungen ist,  dann kommen sie wieder.

Falls Du Pech hast,  mit Rechtsanwalt, wutschnaubenden Angehörigen und Bild Zeitung im Schlepptau.

Falls Du Glück hast, alleine um 2 Uhr vierzig.