Geriatrie ist ein hartes Brot.
Visite bei Frau D. Das P für Privat leuchtet aus ihren fünf Ringen, die an ihren Fingern stecken.
Ich komme zur Visite, sage: „Guten Morgen!“
Frau D. begrüßt mich mit: „So ein Sauladen!“ Sowas höre ich gerne am frühen Morgen.
Und dann ergießt sich ein Sermon aus mäkeliger Unzufriedenheit über mich. Zimmer zu klein, Fernseher zu klein, alles zu alt, zu was auch immer, unfreundliches Personal, Essen schmeckt nicht.
Ich drehe mich um und gehe raus. Und wünsche mir im Stillen, dass Frau D. Erfahrungen mit einem kongolesischen Krankenhaus macht.
Weiter geht es auf der nächsten Station.
Noch eine Privatpatientin, eine von den oberen 10.000 hier. Alte Dynastie am Rhein. Man sollte ihren Namen kennen. Mir sagt er nichts. Wohne hier nicht.
Gleiches Spiel.
Ich grüße.
Frau St. sitzt in ihrem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen. Trinkt Kaffee.
Als sie mich und die Pflege sieht, springt sie aus ihrem Stuhl auf. Und zieht ihren beigen Rock hoch. Ich erblinde kurz. Darunter trägt sie noch nicht mal Chanel Nr. 5.
Sie keift: „Gucken Sie sich das an!!!“
Nein, danke nicht noch mal.
„Ich bekomme keine Unterwäsche hier! Unverschämtheit!!“
Meine liebe Frau St. Wir haben für obdachlose Patienten eine Grundausstattung, wohlgemerkt für Obdachlose. Sie hingegen haben eine Familie, die ihnen jeden Tag frische Wäsche bringen kann.
Ich wünsche mir im Stillen, dass Frau St. Erfahrungen in einem somalischem Krankenhaus macht.
Im Stationszimmer angekommen, erzählt mir die Pflege, dass Herr Sch. nachts gestürzt ist. Er ist ohne Pantoffeln aufgestanden, hat nicht geschellt und dann gefallen. Er hat ein dickes Monokelhämatom und sieht aus, als hätte er gegen Klitschko gekämpft und gewonnen. Die Enkelin, eine dummdreiste Person mit Rockerstiefel, war heute morgen zu Besuch und hat ihn mit ihrem Smartphone fotografiert. Sie wolle sich bei der Geschäftsführung beschweren.
Ich wünsche mir im Stillen, dass Ihr bald alle von Pflegerobotern und Ärzten versorgt werdet. Ach nein, das sage ich lieber nicht.