Schritte

Vor meinem Büro ist ein  langer Flur mit wieheißtessoschön viel Durchgangsverkehr. Herden von Ärzten, Patienten, Besuchern ziehen über diesen Flur auf dem Weg zu den Stationen, Sekretariaten, Cafeteria.

Mittlerweile erkenne ich die Schritte von den meisten Kollegen :

Etwas schleifender dumpfer Schritt: mein alter Chef.

Herrischer, klackender kurzer Stiefelschritt: meine neue Chefin.

Stakkatoartiger Turnschuhschritt gefolgt von lautem Türenschlagen: meine Kollegin.

Eiliges Crocksgetrampel und Geschnatter: eine Horde Anästhesisten auf dem Weg zum OP.

Schneller Holzclogschritt: die nette große Gynäkologin.

Leiser,  schleichender Lederschuhschritt mit After shave, das in mein Zimmer zieht: die Verwaltung.

Langsamer, unregelmäßiger stoppender Schritt mit rollendem Infusionsständer: Der Chemopatient von den Gastroenterologen, den ich gestern gesehen habe, auf dem Weg zur Cafeteria.

Wie sich meine Schritte wohl anhören.

Anspruch

Heute auf Visite. Frau E., 87  Jahre alt. Nackenkissen unter dem graugelocktem Kopf, zweite Bettdecke über den Beinen. Privat. Vorwurfsvoller Blick. Mir ahnt nichts Gutes. Und richtig. Es geht sofort zur Sache.

Ich: „Wie geht es Ihnen?“

Frau E.: “ Ich habe mein kleines Fläschchen heute nicht gekriegt!“

Ich (gucke zu Schwester Katrin): „Was für ein Fläschchen? Antibiose?“

Frau E, unwillig: „Na, das Orangensaft Fläschchen! Das habe ich im letzten Jahr jeden Morgen bekommen!“

Katrin: „Die Küche schickt Ihnen das nicht mehr hoch, weil Sie Diabetes haben.

Frau E.:  Ja, aber ich habe Anspruch drauf! Ich bin privat. Ich will meinen Saft.“

Ich versuche Frau E. es nochmal und nochmal zu erklären. Krankenhaus kein Hotel, Pflege keine Kellner. Sinnlos.

Mir platzt der Arztkittelkragen.

Als wir rausgehen, wirft Frau E. uns noch hinterher:  „Ziehen Sie die Decke richtig über meine Beine.“