In meinem Beruf habe ich schon viele Menschen sterben sehen. Junge Menschen, alte Menschen, tumorkrank, lungenkrank, nierenkrank, seelisch krank. Und obwohl ich schon so lange dabei bin, macht es mich immer wieder fassungslos, wenn ich beim Sterben zusehen muß.
Bei Herrn W., 89 Jahre alt, der genau so dichte silbergraue Haare hatte wie mein Opa, habe ich heute Visite gemacht. Wir haben uns noch über sein hartes Leben unterhalten. Viel körperliche Arbeit, ein Weltkrieg, er hatte Hände, die verschlissen waren vom Bergbau. Er war schwer herz-und lungenkrank. Als ich das Zimmer verlassen wollte, fragte er mich noch : „Frau Doktor, meinen Sie ob ich hier auf meinen Beinen oder im Sarg rauskomme?“.
Heute Nachmittag wurde ich angefunkt, es ginge ihm nicht gut. Wenn das eine Krankenschwester sagt, sollte man zügig kommen.
Herr W. saß nach Luft schnappend am Tisch, schon fahlgrau im Gesicht, um Mund und Nase ein weißes Dreieck.
Ich habe dann noch Sauerstoff gegeben, schnell herzentlastende Medikamente gespritzt. Aber es war mir klar, das Herr W. jetzt sterben wird. Und das ich nichts mehr machen kann. Und das ich dabei sein werde.
Ich habe dann die Hand auf seine dichten silbergrauen Haare gelegt. Herr W. ist dann innerhalb von einer Minute gestorben.
Ja, ich weiß das Leben ist endlich, aber es macht mich trotz aller Routine immer wieder fassungslos.