Christoph Rehage ist in einem Jahr 4500 km durch China gewandert. Dokumentiert hat er seinen langen Weg mit diesem Video. Angefangen hat er glattrasiert, beendet hat er den Weg mit einem prächtigem Vollbart!
Tag: 29. Juni 2013
Letztes Telefonat
Ich hasse es. Jeder Arzt hasst es und hat Angst davor. Das Telefonat, um Angehörigen mitzuteilen, dass ihr Sohn, Tochter, Vater, Mutter, Onkel, Tante, Opa oder Oma gestorben ist. Das letzte Telefonat.
Es ist immer sehr kurz. Meist nur 30 Sekunden, maximal eine Minute um Unfassbares zu sagen und die Welt für eine kurze Zeit stillstehen zu lassen.
Ich nehme mir zum Telefonat die Akte mit. Papier ist gut, das gibt mir Halt. Dann suche ich mir ein unbesetztes Arztzimmer. Ich brauche Ruhe und kein hektisches Monitorgepiepse im Hintergrund.
Ich wähle die Nummer. Insgeheim hoffe ich, dass keiner dran geht. Aber ich habe auch Angst davor, dass keiner ans Telefon geht.
Schlimm ist es Nachts anzurufen. Zu wissen, dass ich die Tochter oder den Sohn aus dem Schlaf reiße. Man hört am anderen Ende ein verschlafenes „Hallooo??!“ Ich hole dann tief Luft und ergebe mich ins Unvermeidliche.
Schlimm ist es dann eine Pause und einen lauten Schrei zu hören. Dann haltloses Weinen. Ich sitze am Schreibtisch und kann nichts machen.
Ich frage immer vorher: „Wo sind Sie gerade? Sitzen Sie im Auto?“ Nicht auszudenken, was passiert, wenn.
Manchmal kommen auch seltsame Reaktionen:
Wenn ich frage: „Möchten Sie heute noch kommen und Abschied nehmen?“
Sohn: „Nein, wozu? Ich wohne doch 30 km weit weg!“
Ich sage dann nichts. Weil mir dazu nichts einfällt.