Rotkohl

Heute auf Visite. Zimmer 12. Das letzte Zimmer nach einer schweißtreibenden gefühlten 27 stündigen Visite mit Chef. Mein Assistenzarzt verheddert sich bei den 15 Hauptdiagnosen. War das eine Pneumocystis Pneumonie 1987? Wie lange liegt das Urostoma?

Wir kommen ins Zimmer. Gibt schon Mittagessen. Rotkohl mit IrgendwasFrikadelle. Ich mag Rotkohl.

Herr M. mit nacktem Oberkörper bei einem BMI von 42, kurzer Schlüpper. Sitzt an der Bettkante. Kopfhörer auf, guckt Fernsehen. Sieht uns an. Isst seelenruhig weiter. Lässt die Kopfhörer auf.

Chef: „Wie geht es Ihnen?“

Schlüpper (gabelt die Frikadelle auf): „Wieso krieg ich so schlecht Luft?“

Weil du 42 Zigaretten pro Tag rauchst.

Chef erklärt geduldig, der Schlüpper schaufelt ungerührt weiter. Kleckert Rotkohl auf seine grau behaarte Brust.  Schabt den Kohl mit der Serviette ab.

Ich schlucke trocken, ich mochte mal Rotkohl.

Nach der Visite schnell in die Cafeteria. Die Schlange geht bis zur Tür. Endlich bin ich dran. Es ist nur noch Rotkohl da. Mit Zwiebelsauce. Ich mochte mal Rotkohl.

 

 

Generation Y

Viel ist über die Generation Y geschrieben und gerätselt worden. Ich habe mich geweigert daran zu glauben (jedes Jahr wird eine Sau durchs Dorf getrieben). Aber es gibt sie wirklich!

Assistenzarzt Y (frisch von der Uni): „Wieso muss ich 12 Patienten betreuen und Herr Dr. Schonlangeda nur 11 Patienten?“

Erkläre ihm noch geduldig (Welpenschutz und so) , dass der eine mehr, der andere weniger Patienten hat. Und es sich wieder ausgleichen wird.

Y lässt nicht locker. „Und wieso muss ich schon nach vier Monaten Bereitschaftsdienste machen? “ Diesmal werde ich deutlicher (Welpenschutz off) : „Weil es Ihr Job ist! „ Du wirst nicht dafür bezahlt, weil du auf der Welt bist mein lieber Y.

 

Am nächsten Tag kommt ein Hospitant zum Probearbeiten. Er hat keinen Arztkittel mitgebracht. Wozu auch? Meine Sekretärin zockelt mit ihm los in die Wäscherei. Er bekommt einen Leihkittel. Er beschwert sich, der Kittel ist zu groß. Und überhaupt, wieso muss er zum Mittagessen zuzahlen. In anderen Kliniken…

In der Vorlesung. Die Studenten schlendern in den nagelneuen Hörsaal rein. In der Ecke steht ein Kaffeeautomat, Wasserflaschen und Orangensaft, Obstschale mit Äpfeln, Bananen.

Generation Y: „Wieso gibt es hier keine Kekse? Letztes Mal hatten wir noch Kekse!“

Liebe Generation Y, zwei Arbeitsstellen von Euch sind eine Stelle Generation Golf! 🙂

 

 

 

Örgs

Wenn Menschen mir Wortbrocken zuwerfen. Und meinen, ich könnte ihre Gedanken lesen. Örgs.

Ich sitze vorne hinter der Stationstheke am PC, aus Not, hinten war nix mehr frei.

Der Aufzug geht auf.

Eine Frau steigt aus, steuert absatzklackend auf mich zu: “ Herr Schaube??“

(Nein, ich bin nicht Herr Schaube. Der ist 87 Jahre, 162 cm, hat keine Haare und arthritische knubbelige Knie  Und liegt auf Zimmer 8).

Ich sage: „Was möchten Sie bitte?“

Frau, genervt: „Ja, wo liegt denn Herr Schaube???“

Bitte sprechen Sie mit mir in ganzen Sätzen. Lassen Sie mich nicht raten. Ich trage keine Kristallkugel in meiner Kitteltasche (denn hätte ich die, würde ich nicht hier sitzen sondern weit weg. Auf einem sonnigem Eiland mit blauem Meer im Rücken und einem Schirmchen Cocktail in der Hand).  Ich kann weder Gedanken lesen, noch Tarot Karten legen. Örgs.

Bitte sagen Sie Guten Morgen oder Guten Tag. So kleine soziale Basics schmieren den Alltag ungemein.

Auch auf Worte wie „Eeeeehhh Kaffee!!??“ reagiere ich nur mit kompletter Gehörlosigkeit.

Bitte legen Sie Ihre guten Manieren (falls Sie denn je welche besessen haben) nicht ab, bloß weil Sie durch eine Krankenhaustür geschritten sind.

Danke. Örgs.

Aufklärung

Patienten über Magenspiegelung, Darmspiegelung, Operationen usw. aufzuklären, kann  harte Arbeit sein und viel Geduld und Nerven verlangen.

Gehörlos Gerd:

Gerd hat auf dem rechten Ohr noch 0,2 % Hörvermögen und auf dem linken Ohr nix.  Er hat seine Hörgeräte im Wert eines Mittelklassewagens in der Schublade liegen, seine Batterien vergessen oder weigert sich zuzugeben, dass sich sein Hörvermögen auf dem Niveau eines Wassermolches befindet.
Dass ein Gehörlos Gerd in Zimmer 7 liegt, erkennt man bereits am Gebrüll der Krankenschwester,  die die Worte „ZETTEL“ und „AUSFÜLLEN“ abwechselnd laut artikuliert, gestikuliert und tanzt, um Gerd klar zu machen, was man hier von ihm will.

Eltern:

Gut, als Geriater hat man damit nicht so oft Kontakt. Aber die klagenden Anästhesisten, die mit mir Mittag essen gehen, um so mehr. Hier hat man es mit einem schwierigem Klientel zu tun. Sie tauchen in der Ambulanz im Doppelpack und ohne Kind auf, um „zunächst ein Vorgespräch“ zu führen. Stundenlang berichten sie von ihrem sensiblen Thorben-Tristan mit Ärztephobie, bringen tonnenweise ergoogelte Dokumente, alte Impfpässe  und haarsträubendes Halbwissen mit und wollen um jeden Preis mit in den OP.
Lösung: Unmissverständlich klar machen, dass die OP leider nicht auf dem Schoß der Mutter stattfinden kann, und dass die betreuenden Ärzte im Vorfeld auch keinesfalls Kopie ihrer Approbationsurkunden vorzeigen werden.

Substanzmissbrauch-Stefan:

Junger Mann mit bläßlicher Gesichtsfarbe, abgekauten Fingernägeln und langen Ärmeln, der sich beim Beantworten der Drogen-Frage im Bogen fünf Mal neu entschieden hat,  sodass im Textfeld nur durchgestrichene Worte stehen.
Lieber Stefan: Wir verpetzen dich nicht an die Polizei. Wir wollen nur wissen, ob du schon von Haus aus eine Abhärtung gegen unsere guten Narkose-Drogen mitbringst. Alles klar? Hier unterschreiben.

Detail-Detlef:

Dieser Patient trennt sich sehr ungern wieder vom  Aufklärungsbogen. Er füllt diesen in akkurater  Handschrift  akribisch aus und will jeden Punkt dreifach besprechen. Und er braucht mindestens zwei Kopien davon. Dieses unglaubliche Monster-Aufklärungsgespräch verzögert sich immer wieder, weil Detlef nicht einsehen will, dass es völlig wuppe ist, ob seine Galle nun 1996 oder 1997 rauskam, und er deswegen nicht extra seine Frau anrufen muss. Und Erbeerallergien sind für uns auch nicht wirklich relevant. Hier hilft nur hartes Unterbrechen und weiter im Text. Sonst sitzt man mit Detlef übermorgen noch da.

Demenz-Doris:

95 Jahre alt, freundlich zahnlos lächelnd, soll sie für eine Gallenblasen OP unterschreiben. Sie hat eine erstaunlich gute Fassade, die erst auffliegt, als sie es nochmal mit ihren Eltern besprechen will.

Ratzfatz-Renate:

Renate gehört zum Krankenhausinventar. Entweder hat sie keine Lust auf ein Aufklärungsgespräch, oder sie hat es schon tausend Mal gehört, weil sie zum xxxx Re-Eingriff hier ist. Sie unterschreibt für die Nierentransplantation in drei Sekunden und  will direkt wieder nach draußen zum Rauchen. Schnelle Prämedikation, glücklicher Anästhesist.