Ausblenden ist ein beliebtes mentales Verfahren, dass Ärzte anwenden, die von Patienten gnadenlos zugetextet werden.
Also eigentlich fast täglich anwendbar.
Beispiel:
Heute auf der Visite, Zimmer 2.
71 jährige Privatpatientin, pensionierte Lehrerin, lange graue glatte Haare. In der Kurve steht Fibromyalgie. Aaarrggh, denke ich. Worst case. Fibromyalgie, das kann dauern. Fibromyalgie Patientinnen (fast alles Frauen, geschieden, denn die Männer halten das Geknatsche mehr aus) mit diversen Wehwehchen, die jeder hat, der älter als vierzig ist. Der eine nimmt es hin, der andere macht eine Krankheit draus!
Und richtig:
Frau S. , den Kopf auf einem mitgebrachtem Nackenhörnchen gebettet, liegt leidend auf einer Fango Packung im Bett:
„Frau Doktor, ich habe so Schmerzen. Ich habe bestimmt einen akuten Fibromyalgie Schub…“
Ich: „Was machen Sie denn in einem „Schub“? ( Das Wort Schub presse ich nur nur mühsam raus. Benutze es sonst nur bei Patienten mit Multipler Sklerose).
Sie: „Ich nehme dann immer ganz schwere Tabletten!“
Ich: Welche?
Sie: „Jaaa, Ibuprofen.“
Ahhhh, ja. Die schweren Ibuprofen….
Und weiter geht die Leidensgeschichte. Sie beginnt mit der Diagnose der Fibromyalgie. „Herr Professor D. hat sich 2007 an mein Bett gesetzt und meine Hand genommen, Ich muß jetzt ganz tapfer sein, hat er gesagt. Ich hätte Fibromyalgie und die ist unheilbar.“
Ich verfluche diesen Kollegen, Menschen zu pathologisieren .
Die Geschichte endet mit der Erzählung, dass ihr Vater mal eine Blinddarmentzündung hatte. Der Vater hatte ja bei der Sparkasse gearbeitet, der Sohn übrigens auch. Ich weiche langsam rückwärts in Richtung Tür aus, es nützt nichts. Frau S. redet und redet und redet und redet…Schlimmer als ein Mann. Ab da beginne ich auszublenden.
Überlege, was ich am nächsten Wochenende machen kann. Am Freitag in den Biergarten? Wenn ja, in welchen?
Ich muß an einen Kollegen denken. Der blendet immer mit Kochrezepten aus. Letztes Mal hat er vor seinem inneren Auge eine Bouillabaisse gekocht. Fisch, Langusten, Zwiebeln, Möhren. Lorbeer, Knoblauch,Thymian. Mit Weißwein abschmecken. Dazu Baguette? Gute Idee!
Also, wenn eurer Arzt Euch nicht mehr antwortet und etwas entrückt in die Gegend guckt, dann könnte es daran liegen, dass ihr redet und er Fischsuppe kocht…
Jaaa… irgendwie lustig.
Kommt sicherlich auch häufig vor…
Warum nur fallen mir dazu sofort Ärzte ein, die ihre Patienten pauschal nicht mehr ernst nehmen? Die nicht mal mehr eine halbwegs anständige Anamnese hinbekommen, weil sie Bouillabaise kochen, routinemäßig.
Das ist natürlich nicht die Regel, oder?
Ebensowenig wie Deine abgedrifteten hypochondrischen Mitvierzigerinnen…
Ja, es kommt häufig vor. Und es stiehlt den Schwerkranken die Zeit. Und eine Anamnese ist keine Einbahnstraße. Als Arzt bin ich übrigens durchaus routiniert genug, trotz aller Vorbehalte alle notwendigen Untersuchungen zu machen. 😉