Supervision

Supervision ist eine Beratung für Mitarbeiter in psychosozialen Berufen. Dabei soll die Mitarbeit im Team besprochen und eventuelle Probleme angegangen werden.

In meinem psychiatrischem Jahr, das jeder Neurologe machen muss, war Supervision Pflicht.
Ich war neugierig auf die erste Supervision, habe mich sogar drauf gefreut. Neue Sachen halt.
Zusammen mit Martin und dem kompletten Team war ich im Gemeinschaftsraum. Blaue Stühle, ein grosser Stuhlkreis. Die Supervisorin mit dem unausprechlichem Doppelnamen, den ich vergessen habe. Im Gedächtnis  ist mir der rotgelbe Poncho geblieben, den sie umgeworfen hatte. Im Hochsommer.
Martin hatte mir vorher gesagt: „Ich sage in Supervisionen nie was.“
Ich habe gefragt: “ Wieso? Dazu ist es doch da!?“
Antwort: „Das wirst du schon sehen!“
Ahh, ja.
Und los ging es.
Die Supervisorin Frau Schwätzer-Namenlos: „Was gibt es zu besprechen? „

Totenstille. Alle gucken aus dem Fenster. Auf die Fußspitzen. Knibbeln heimlich an den Nägeln.
Die Supervisorin nimmt mich ins Visier:
„Sie sind doch neu hier?“
Jaaaa, bin ich. Und ich wünschte ich wäre weit weg.

„Wie empfinden Sie die Atmosphäre hier im Team?“

Martin stößt mich warnend mit dem Ellenbogen an.

Zu spät.

Ich denke an die unterschiedlichen Teammitglieder. An die dominante Stationsleitung Meike Schlampitz mit ihrer Friß oder Stirb Art und der altmodischen Dauerwelle,  an die ihr hörige Frau Eiland, an den dicken Christoph, der ihr nichts entgegenzusetzen hat, an den zu lieben Ralph, der sich nicht traut.

Ich hole tief Luft und  sage: „Ich denke, dass hier auf Station keine gute Stimmung ist.

Und dann bin ich zum Abschuss freigegeben.

Ende vom Lied:

Ich sage zu Frau Schlampitz: „Blöde Kuh!“ und werde im Anschluß auf eine andere Station versetzt.

Die Supervisorin ist begeistert von der Dynamik.

Seitdem sage ich nichts mehr in einer Supervision und gucke auf meine Fußspitzen. Knibbel an meinen Nägeln, schaue aus dem Fenster. Und hasse Ponchos.

Bouillabaisse

Ausblenden ist ein beliebtes mentales Verfahren, dass Ärzte anwenden, die von Patienten gnadenlos zugetextet werden.

Also eigentlich fast täglich anwendbar.

Beispiel:

Heute auf der Visite, Zimmer 2.

71 jährige Privatpatientin, pensionierte Lehrerin, lange graue glatte Haare. In der Kurve steht Fibromyalgie. Aaarrggh, denke ich. Worst case.  Fibromyalgie, das kann dauern. Fibromyalgie Patientinnen (fast alles Frauen, geschieden, denn die Männer halten das Geknatsche  mehr aus) mit diversen Wehwehchen, die jeder hat, der älter als vierzig ist. Der eine nimmt es hin, der andere macht eine Krankheit draus!

Und richtig:

Frau S. , den Kopf auf einem mitgebrachtem Nackenhörnchen gebettet, liegt leidend auf einer Fango Packung im Bett:

„Frau Doktor, ich habe so Schmerzen.  Ich habe bestimmt einen akuten Fibromyalgie Schub…“

Ich: „Was machen Sie denn in einem „Schub“?  ( Das Wort Schub presse ich nur nur mühsam raus.  Benutze  es sonst nur bei Patienten mit Multipler  Sklerose).

Sie: „Ich nehme dann immer ganz schwere Tabletten!“

Ich: Welche?

Sie:  „Jaaa, Ibuprofen.“

Ahhhh, ja. Die schweren Ibuprofen….

Und weiter geht die Leidensgeschichte. Sie beginnt mit der Diagnose der Fibromyalgie. „Herr Professor D. hat sich 2007 an mein Bett gesetzt und meine Hand genommen,  Ich muß jetzt ganz tapfer sein, hat er gesagt. Ich hätte Fibromyalgie und die ist unheilbar.“

Ich verfluche diesen Kollegen, Menschen zu pathologisieren .

Die Geschichte endet mit der Erzählung, dass ihr Vater mal eine Blinddarmentzündung hatte.  Der Vater hatte ja bei der Sparkasse gearbeitet, der Sohn übrigens auch.  Ich weiche langsam rückwärts in Richtung Tür aus, es nützt nichts. Frau S. redet und redet und redet und redet…Schlimmer als ein Mann.  Ab da beginne ich auszublenden.

Überlege, was ich am nächsten Wochenende machen kann. Am Freitag in den Biergarten? Wenn ja,  in welchen?

Ich muß an einen Kollegen denken. Der blendet immer mit Kochrezepten aus. Letztes Mal hat er vor seinem inneren Auge eine Bouillabaisse gekocht. Fisch, Langusten,  Zwiebeln, Möhren. Lorbeer, Knoblauch,Thymian. Mit Weißwein abschmecken. Dazu Baguette?  Gute  Idee!

Also, wenn eurer Arzt Euch nicht mehr antwortet und etwas entrückt in die Gegend guckt, dann könnte es daran liegen, dass ihr redet und er Fischsuppe kocht…