Frühstück

Es ist wie jeden Morgen. Die Pflege sammelt sich zum Frühstück. Sie gehen in Gruppen, die eine um halb 10, die nächste um 10 Uhr. Pro Gruppe acht schnatternde Frauen. Es kommt wie es kommen muss.

Phase 1: Wer geht mit wem frühstücken? Melanie will nicht mit Sandra, weil Sandra nicht raucht.  Sandra nicht mit Kim, weil sie raucht. Melanie nicht mit Kim, weil sie so viel redet. Katja will gar nicht frühstücken, weil sie Diät macht. Wer nimmt die Schülerinnen mit? Wo sind die überhaupt? Dauer der Diskussion: 15 Minuten. Mindestens.

Phase 2: Diverse pinke, glitzernde Frühstückstaschen/Körbe/Beutel werden gesucht, gepackt, vergessen. Ein Aufschrei aus der Küche. Jemand vom Wochenende hat Katjas Käse gegessen. Dauer: 10 Minuten. Plus 20 Minuten. um Katja zu beruhigen. Zwischendurch geht Sandra verloren, weil sie Herrn P. zum EKG fahren muss.

Phase 3: Diverse Toilettengänge. Kurz Haare kämmen, Labello auftragen. Handy suchen. Feuerzeug, Zigaretten. Melanies Lieblingstasse muss mit. Die Lieblingstasse ist weg. Steht auf meinem Schreibtisch.  Wer hat die Tasse?

Phase 4: Warten auf den Aufzug. Merken, dass es kalt ist. Die Stationsjacke suchen. Die Jacke hat Kim aus der ersten Gruppe an.  Zwischendurch geht Sandra zur Toilette. Lässt die Tasche auf der Toilette liegen.

Phase 5: Der Aufzug ist weg.

365 Tage im Jahr, jeden einzelnen Tag.

 

Enger Freund

Auf Zimmer 5 liegt eine Patientin mit einer LWK Fraktur. Schmerzen, aber sonst nichts Dramatisches. Wenn da nicht der Sohn wäre.

Der Sohn, stets bekleidet mit einer Wollmütze, ist schon vor mir morgens auf der Station. Und ich fange früh an.

Dann säuft  trinkt er erstmal allen Patienten den Kaffee weg. Plündert in der Küche, ob es etwas Essbares für ihn gibt. Natürlich ohne zu fragen. Hat man oder die Mutter ja für gezahlt.

Vorgestellt hat er sich mit: „Ich bin ein enger Freund von Herrn Müller, dem Geschäftsführer!!!!!!“(gefühlte 100 Ausrufezeichen folgen drohend).

Dann hockt der Sohn sich für fünf Stunden neben die Mutti.  Und zwar auf den Toilettenstuhl (örgs).  Nervt die Pflege, nervt die Ärzte, nervt die Physiotherapeuten, nervt den Sozialdienst.  Spricht täglich mit dem Chef. Er ist ja ein enger Freund von  Herrn Müller.

Außerdem sei er Bioingenieur . Was ist das ? Und muss man da nicht arbeiten?  Und es sei ja hier komplett falsch gebaut worden. Von wegen antibakteriell und so. Mit Mikroorganismen kennt er sich aus. Sagt er und hockt weiter auf dem Toilettenstuhl. Ich gucke auf seine schlunzige Wollmütze. Da tummeln sich genug Mikroorganismen, um einen biologischen Krieg zu gewinnen.

Endlich wird die zugegeben nette Patientin entlassen (sie war nicht das Problem).

Einen Tag später treffe ich den Geschäftsführer im Treppenhaus. Spreche ihn an: „Bei uns hat Frau H. gelegen. Die Mutter Ihres Freundes.“

Herr Müller erblasst, zieht an der Krawatte.  „Um Gottes willen. Das war nie, nie mein Freund!  Trägt er noch die schreckliche Wollmütze? “ Und eilt erschaudernd weiter.