Abteil

November Zeit, Kongress Zeit. Als ich den Zug buche,  geht nur Abteil, kein Großraum. Oh, denke ich. Das kann ja heiter werden. In meiner Freizeit habe ich nicht so gerne engen Kontakt zu fremden Menschen.  Es reicht mir auf der Arbeit, es gibt genug Verrückte.  Wenn ich 70 bin, sitze ich auf einer einsamen Insel, habe ein LTE Netz und lasse mich von Amazon beliefern. Und spreche nur Montags und Mittwochs. Aber ich merke, ich schweife ab.

D. und ich betreten das Abteil. Ein Geschäftsmann und ein Schüler sitzen drin. Der Anzugmensch räumt mit hochgezogenen Augenbrauen sein Büro von meinem reservierten Sitz. Der Schüler ist ruhig, schläft ins Leere. In Köln steigen beide aus. Zu uns steigt ein mittelaltriger Mann  mit Multifunktionsjacke. Er zieht seine Nase hoch, rhythmisch. Vielleicht ist er erkältet, denke ich mitleidig. Er schnüffelt weiter, als würde er morsen. Nach fünf Minuten könnte ich ihn mit der Kordel seines Wanderanoraks umwickeln. Und fest zuziehen. Die Heizung läuft auf vollen Touren. Jede Wette,wenn ich sie runterdrehe, gibt es stundenlange Diskussionen mit dem Schnüffler. Ich versuche zu lesen.

In  Koblenz steigt eine Erdmutter zu. Senffarbene Filztasche (Leder ist pfui), rote Wollstrümpfe, bequeme Finnlaufschuhe. Sofort entbrennt  eine Streiterei wegen“Es ist so heiß hier“ zwischen ihr und dem Schnüffler. Er setzt sich durch. Manche Kriege gewinnt man nicht. Die Erdmutter öffnet ihre Filztasche und holt einen wurmstichigen Apfel raus. Sie mustert kritisch unsere chemisch bunten M&M´s.  D. lässt vor Schreck die Packung fallen, die Hälfte rollt raus. Wir kriechen unter die Sitze und sammeln alles auf. Die Erdmutter erdolcht uns mit Blicken. Endlich kommt unser Umsteigebahnhof. Schnell raus in den Anschlußzug. Endlich Großraum. Freiheit. Auf meinem Platz sitzt eine blonde hagere Frau. Lange Diskussionen, bis Madame sich erhebt und sich zu unserem Erstaunen auf einen Platz vor mir niederlässt – den hatte sie ja reserviert.

Ich will zurück. In die Hitze. Zur Erdmutter. In das Abteil.

3 Kommentare zu „Abteil“

  1. „…habe ich nicht so gerne engen
    Kontakt zu fremden Menschen…“ Sounds like British-style
    understatement to me! 🙂

  2. Ja, ja. Ich weiß, was du meinst. Zugfahren wäre ganz schön, wenn die Mitreisenden nicht wären. Die Nasehochzieher regen mich schon bei vier U-Bahn-Stationen auf. Ich halte denen immer meine Papiertaschentücher unter die Nase und dann sagen die doch glatt „Nein, danke!“
    Abteil kann sehr lustig sein, meistens ist es das aber nicht. Bullewarm, genauso wie du es beschrieben hast.
    Oh, Mann.

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